Leavy … im Zwinger geboren und dort 9 Jahre ihres Lebens vergeudet.
Rasse: Golden Retriever Hündin *09/1998
Hintergrund: ehemalige ‚Zucht’hündin aus D
Ankunft Pflegestelle/Familie: 15.09.2007/ 08.02.2008
Am 15. September 2007 traten 3 Golden Girls ihren Weg in die Freiheit an – ein sogenannter ‚Züchter’ mitten in Deutschland war vom Veterinäramt angehalten, so seine Angaben, die ‚Zucht’ von 70 auf 20 Hunde zu verkleinern.
Eine Woche später kam Leavy, die ich schon bei der Fahrkette kennen gelernt hatte, nach einem ungeplanten Umweg bei mir in der Pflegestelle an.
Im Zwinger geboren, auf eine Woche 9 Jahre im Zwinger gelebt… ein Hund der nichts von einem ‚normalen’ Familienhundeleben kannte, ein Hund mit einem ausgewachsenen Deprivationssyndrom. Ein vierbeiniger Kaspar Hauser eben…
Leavy ging nicht durch Türen, Leavy betrat keinen Raum in dem sich ein Mensch aufhielt, Leavy fraß nicht in menschlicher Gegenwart, Leavy legte sich nicht hin solange ein Mensch in der Nähe war, Leavy war alles was Räumliches anging ständig auf der Flucht… dennoch suchte sie vorsichtig die Nähe zu mir und meiner Familie, ließ sich anfassen, pflegen und versorgen … und begann langsam, aber unaufhaltsam, mal in kleineren, mal in größeren Schritten sich den Alltag zu erobern. Ihre größten Schwierigkeiten bestanden aber in der Begegnung mit Menschen, die nicht zu ihren ‚auserkorenen’ Familienmitgliedern gehörten – doch auch an dieser großen Unbekannten ‚arbeitet’ Leavy …bis heute.
Leavy wird nie ein ‚normaler’ Hund sein – zu groß sind die durch ihre Vergangenheit verursachten ‚Schäden’ durch eine viel zu reizarme und gleichzeitig stressbezogene Prägung schon von vor der Geburt an.
Dennoch hat sie in den ersten 11 Monaten erstaunliches geleistet, sich in Teilen ihrer ‚neuen’ Welt zurechtgefunden, Sicherheiten in ihrem gewohnten Umfeld erlangt und ‚kämpft’ sich trotzdem täglich immer wieder durch neue Situationen. Von ‚umweltsicher’ ist aber nicht die Rede.
Es gab eine Handvoll Interessenten. Aber irgendwie wollte Leavy nicht so recht zu ihnen und ihrem Leben passen. Und auch wenn ich der Ansicht war, irgendwo würden die Menschen sein, die Leavy ein ‚besseres’ Leben ermöglichen könnten, als sie es bei mir leben würde, sie fanden sie nicht
Dann kam der Aschermittwoch und mit ihm das noch ausstehende Röntgen – ihre völlig ramponierten Zähne waren schon Ende Oktober, mit anschließender Kastration, behandelt worden.
Das Ergebnis war nicht besonders ‚Mut machend’: fortgeschrittene Spondylose im Lendenwirbelbereich, beginnende Cauda equina und eine beginnende Verknöcherung des Bandes zwischen Elle und Speiche im linken Vorderlauf, sowie eine fortgeschrittene Arthrose in der linken Hand – das Tüpfelchen auf dem ‚i’ in Sachen Vermittlung:
9 Jahre alt, sagen wir mal vom Verhalten nicht der ‚unkomplizierteste’ Hund und dann auch noch krank …meine Entscheidung war gefallen: Leavy soll endlich angekommen sein. Kein Warten, kein Suchen mehr. Ein Annehmen der Dinge wie sie eben sind – und das heißt:
Am 08. Februar 2008 wurde aus ‚Ilse Billse, keiner will’se’ ‚mein rotes Mädchen’ .
Mit ihrer unglaublich lieben, sanften Art hat sie sich heimlich still und leise in unser aller Herzen geschlichen und ergänzt den zappeligen Bogy und auch den bollerigen Joschi perfekt, weckt ungeahnte Seiten in ihnen.
In ihrem ersten und einzigen Urlaub durfte Leavy, zusammen mit den beiden Jungs Strand und Meer unter ihren Pfoten spüren.
Zu ihrem Namen kam Leavy übrigens, als ich etliche Kilometer und mehr als eine Stunde Zeit hatte meinen Gedanken an diesem sonnigen Septembersamstag, als ich sie per Fahrkette in ihre ursprünglich angedachte Pflegestelle brachte, freien Lauf zu lassen. Im Radio lief ‚Fallen leaves’ von Billy Talent …und das rote Mädchen kam zu ihrem neuen Namen:
… ein Fell wie fallendes Herbstlaub und das alte Leben verlassen …eben Leavy!
© S. Müller – Retriever-Netzwerk 2008
Mein kleines rotes Mädchen Leavy…
…hat heute Abend ihre wunderschönen Augen für immer geschlossen.
Was morgens um halb elf mit einem Durchchecken lassen, weil sie in den letzten Tagen irgendwie schlapp und nicht mehr so fröhlich war und ich mir nicht mehr mit ‚Frühjahrsmüdigkeit‘ erklären wollte, bei unserer TÄ begann, endete nach einer fünfstündigen Odyssee durch TAPraxis und Tierklinik mit Blutabnahmen, Röntgen, Ultraschalls und der für mich immer noch nicht greifbaren Diagnose inoperabler Milz- und Lebertumore.
Ich bin so unendlich traurig für sie nicht mehr tun zu können, als die Entscheidung zu treffen, sie keine Sekunde länger leiden zu lassen und mein fast auf den Tag genau 18 Monate altes Versprechen einzulösen, dass sie nie mehr leiden müsse…
Leavy ist innerhalb weniger Sekunden ganz leise in meinen Armen und unter den streichelnden Händen von Tinka und Tanja zu Hause auf ihrem geliebten Polykuhfell eingeschlafen und setzt ihren ewigen Schlaf nun unter einer kleinen Magnolie fort.
Es tut mir so leid, mein kleines rotes Mädchen, dass ich dir nicht mehr Zeit schenken konnte, dass die Medizin kein Mittel gegen diesen tückischen Teufel Krebs hat.
9 Jahre Deines Lebens hast du im Zwinger bei einem Vermehrer verschwenden müssen, deine einzige Daseinsberechtigung war es Welpen zu produzieren und sein Portemonnaie zu füllen. Uns blieben nur 18 Monate Zeit dir zu zeigen, wie das Leben einer kleinen Goldine eigentlich aussehen sollte. Die ersten Monate dieses Weges waren schwer für dich, von vielen Ängsten geprägt. Aber du warst so ein starkes, tapferes Mädchen, hast dich Schrittchen für Schrittchen in dein neues Leben gewagt, die Menschen lieben gelernt, bist nach langer Zeit endlich fröhlich und frei durch die Welt gehopst. Du warst so eine tolle kleine Hündin, einfach nur lieb, kein Funken ‚Böses‘ war in dir. Ich kann es nicht fassen, dass dein Weg nun schon zu Ende ist, ich hätte dir noch so viel mehr des Genießens dieser Lebensfreude gegönnt. Doch es sollte wohl nicht so sein…
Ich vermisse dich jetzt schon so schrecklich, dass es weh tut …
© Sandra Müller 2009